Experten zu Besuch in Bonn
Marion Leske - Bonn
Kulturjournalistin
Der impulsive Kosmos der Hilla
Jablonsky
Hilla Jablonskys Bildwelt lässt der
Wahrnehmung des Betrachters weite
Spielräume. Ihre Kompositionen stehen
in der Tradition des Informel, das die
spontane Geste feierte. Oft entstehen
sie auf der Grundlage seelischer
Gefühlszustände. In ihrem unbändigen
Beharren auf Subjektivität verwandelt
Jablonsky Glücksmomente und
Heiterkeit, Unruhe und Angst, Zorn und
Trauer in ein Schlachtfeld aus
Farbflecken Linien und grafischen
Kürzeln. Das Erstaunliche: Am Ende
steht eine Ordnung von harmonische
Balance.
Feministische Perspektive: Paartanz
im Paradies
Der Wille zur Abstraktion um jeden
Preis ist der Künstlerin indessen fremd.
Die menschliche Figur hat als lineare
Chiffre in ihrem imaginierten
Universum ebenso Platz wie der Zufall
und das Unterbewusste. Mal ironisch,
mal kampfeslustig stellt Jablonsky das
Verhältnis der Geschlechter dar - der
Phallus gehört dabei zum gern und
häufig zitierten Signal. Da spreizt vor
zinnoberrotem Hintergrund eine
männliche Gestalt ihre schwarzen
Glieder wie ein Pfau, eine entsprechende
Donna lockt tänzelnd mit ausgebreiteten
Armen. Die erotische Komponente ist
bei Jablonsky immer mit einer Portion
Witz und - rar aber offenbar gibt es das –
augenzwinkerndem Feminismus
versehen. „Das Paradies ist anstrengend“
(Wvz 8668)
kommentiert die Künstlerin das Balz-
Duett zwischen Adam und Eva im Titel.
Die Fläche nutzt sie als Aktionsfeld.
Hier lässt Hilla Jablonsky den Energien
freien Lauf. Auf dem Gemälde „Der
große Schoß“ wirbeln rote, blaue,
schwarze und weiße Gebilde auf gelbem
Grund. Umschlossen sind sie von einem
fleischfarbenen Rosaton, eine weiße
Nabelschnur durchzieht die Bildmitte.
Noch ist nichts ausgebildet in diesem
Uterus, noch scheint alles möglich. Frau
oder Mann, Amöbe oder Insekt – im
pränatalen Getümmel pulsiert und gärt
es mit explosiver Vitalität. Archaische
Gestalten tauchen auf, winzig, im Rudel
und wie auf einer Höhlenzeichnung. Die
Geburt der Schöpfung steht kurz bevor.
Skripturen im Tee: Notate gegen die
Flüchtigkeit
Aber auch leise, grazile Arbeiten gibt es.
Unter ihnen finden sich mit Tee
eingefärbte Blätter, auf denen sich
bisweilen Schriftzüge entdecken lassen.
Es sind behutsam gestammelte Worte,
die sich wie lyrische Verse einen fiktiven
Betrachter richten: Notate gegen die
Flüchtigkeit inmitten eines Stakkatos
aus kühlen Farbspritzern. Das
Zusammenspiel ergibt
spannungsgeladene Improvisationen,
Liebesgeflüster inklusive. In der Serie
„Kleine Wonnen“, bei der Jablonsky die
Bewegung schwarzer Zeichen auf
gelbem Grund erprobt, ist das Vokabular
ist kalligraphisch verknappt, alle Energie
gebündelt in wenigen Strichen und
Pinselschwüngen. Die chaotischen
Kräfte haben sich formiert zu einer
lakonischen Choreographie von
meditativer Wirkung: Die emotionale
Geste endet, für eine Weile, in gelöster
Ruhe.
Märchen und Mythen: Das Meer als
Metapher
Woanders beschwört Jablonsky Märchen
und Mythologien. So bewahrt sie die
Symbole unseres kollektiven
Gedächtnisses vor dem Vergessen.
Zugleich entfaltet sich ein
emanzipatorisches, oft auch
feministische Potenzial. Die Rolle des
Ikarus beispielsweise ist der Frau
übertragen. Sie ist es, die den Ausbruch
wagt und der nun Flügel wachsen. Mit
Hilfe ihrer neu erlangten Schwingen
steigt die „Ikara“ (Wvz Nr. Z) auf in die
Lüfte, ins Reich der Fantasie. Die unten
lauernden Abgründe schrecken sie nicht
ab. Der Traum vom Fliegen ist natürlich
der Traum von künstlerischer wie
sinnlicher Freiheit. Und so schimmern
gerade in dieser Figur die Züge eines
Selbstportraits hindurch.
Auch bei den „Meerfrauen“, die nicht
zuletzt Assoziationen an das uralte
Motiv des Fischens wecken, finden sich
Hinweise auf das Leben des modernen
Menschen. So können die Netze –
gesprühte Gitterstrukturen, die auf
Jablonskys Bildern immer wieder
auffallen – sowohl als Bedrohung, als
Gefahr von Einengung und Verstrickung
verstanden werden, wie auch als
Zeichen kommunikativer Verknüpfung.
Ebenso mehrdeutig ist das Gegenstück
mit dem Titel „Meermänner“.
Das Meer hat von jeher eine große
Faszination auf Hilla Jablonsky
ausgeübt. Sie lebte viele Jahre an der
Küste, ihr Mann Walter war bei der
Marine. Biographisches mag also eine
Rolle spielen. Aber auch als romantische
Metapher des Stirb und Werde spiegelt
das Meer für Hilla Jablonsky eine Fülle
existentieller Empfindungen wider.
Überhaupt sind ihre Arbeiten von
Naturerscheinungen und
Landschaftserfahrungen stärker
inspiriert, als man auf den ersten Blick
festzustellen glaubt. So finden sich
Wolkenformen, kleine Sonnen und an
Gestirne erinnernde Kürzel.
Gelegentlich hat die Künstlerin sogar
Sand auf die Leinwand geschüttet, um
die Präsenz des Bildes ins Taktile zu
steigern, um es materiell fühlbar zu
machen. Sie will eben alle Sinne zum
Sprechen bringen.
Grenzüberschreitung: Vom Bild zur
Aktion
Dafür sprengt Jablonsky hin und wieder
den Rahmen des traditionellen Bildes.
Schon die farbgetränkten Tuchreste, aus
denen sie ihre kleinen „Nesselstücke“
fertigt, verließen das sichere Terrain, das
die zwischen Holzleisten gespannte
Leinwand bietet. Geknittert und
zerknüllt, gedreht und gewendet haben
sie eine experimentelle Behandlung
durchlaufen, die jede Orientierung von
Oben und Unten, Vorne und Hinten bis
zuletzt verweigert. Hier und da werden
solche „Nesselstücke“ weiterverarbeitet
und – im „Leib-auf-Leib-Verfahren“
(Jablonsky) – in andere Bilder integriert.
Beim „Kleid der Malerin“ gewinnt das
eincollagierte Stoffelement eine
zusätzliche Dimension, denn das
schürzenähnliche Gewand ist Relikt
einer Performance. Es dokumentiert die
Spuren ihrer Aktion „Farben essen“.
Dabei setzte Jablonsky ihren Kittel als
Malgrund ein, der nach der „Häutung“,
quasi als Beweismittel, überlebt und
wiederum zu Kunst mutiert.
Marion Leske (1994/2019)
Stand: 29.12.2019, 17:43